Leonard Bernstein


Leonard Bernstein

* als Louis Bernstein am 25. August 1918 in Lawrence, Massachusetts

† 14. Oktober 1990 in New York City, New York

 



Ouvertüre zu »Candide«


LeonardBernstein

1918–1990

Ouvertüre zu »Candide«

UA 1956 als »Comic Operetta«

 Neufassung 1974 als »Musical«

 

26. 2. 2017 ► Programm Nr. 32

Chris Ware, Illustrationen und Buchumschlaggestaltung für Candide: Or, Optimism by François Voltaire. 2005 Penguin Classics
Chris Ware, Illustrationen und Buchumschlaggestaltung für Candide: Or, Optimism by François Voltaire. 2005 Penguin Classics
Shaun, das Schaf, Knetefigur
Nick Park, Shaun the Sheep, 2007. Marketing film still von Sara Barbas. http://carbocollective.com/sarabarbas

»Jeden Morgen baden sie in einem goldenen See. 

Smaragde hängen an den Weinreben, 

alles ist für alle da, 

Essen und Gott und Bücher und Wein. 

Man hat kein Wort für Angst und Habgier, 

für Lügen und Krieg, Rache und Wut. 

Man singt und tanzt und denkt und liest. 

Man lebt in Frieden und stirbt an Altersschwäche« 

 

singt der Titelheld in seiner Ballade von Eldorado in der Komischen Operette »Candide«, mit der sich Leonard Bernstein seit 1956 bis zu seinem Lebensende 1990 beschäftigt hat. 

 

Dieses Eldorado hat der französische Denker Voltaire (eigentlich François-Marie Arouet, 1694–1778) erfunden, es ist einer der zahlreichen Schauplätze seiner drastischen Satire Candide oder Der Optimismus (Niederschrift 1758) über den Glauben des deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, dass unsere Welt die beste aller möglichen Welten sein müsse, weil sie das Werk eines allmächtigen und allgütigen Gottes sei. Voltaire schickt seinen treuherzigen, arglosen und redlichen (franz. = candide) Narren von Unglück zu Unglück durch alle Grausamkeiten und Scheußlichkeiten der damaligen Welt, in der der Siebenjährige Krieg (1756) auf dem europäischen Kontinent gerade ausgebrochen (und auch in Nordamerika zwischen Briten und Franzosen ausgefochten wurde), wo Lissabon 1755 bei einem Erdbeben zerstört worden war, in der immer noch Inquisition, Bestechlichkeit, Sklaverei, Vergewaltigungen und Syphilis herrschten. 

»Aber es gibt auch Gutes,« sagt Candide. – »Mag sein, aber ich habe nichts davon gemerkt,« lässt Voltaire den alten Gelehrten Martin antworten, der von der Aufteilung der Welt in Gotteswerk und Teufelswerk überzeugt ist. 

 

In dem Eldorado, in das Candide und sein Begleiter Cacambo verschlagen werden, liegen Smaragde, Rubine und Goldkörner wie Dreck auf den Wegen. Candide ist überrascht ein Land vorzufinden, dass doch besser zu sein scheint als sein geliebtes Westfalen, aus dem er wegen eines unziemlichen Kusses vertrieben wurde. Nur die paradiesische Langeweile in Eldorado und sein Verlangen, doch noch seine Geliebte Cunégonde wiederzufinden, treiben ihn fort, reich beschenkt vom König des Landes mit zwei roten Reithammeln, zwanzig Packhammeln mit Lebensmitteln und fünfzig mit Gold, Edelsteinen und Diamanten beladenen. 

 

In Bernsteins letztgültiger Version seines »Candide« von 1988 sind aus Voltaires moutons rouges goldene Schafe geworden. 

 

Auf dem Plakat zu unserem Konzert steht nun Shaun, the Sheep, die Knetfigur, die der Trickfilmer Nick Park 2007 erfunden hat, vergoldet als hoffnungsvoller Lichtbringer über den düsteren Trümmern des amerikanischen Traums von Freiheit und Gerechtigkeit. 

Leonard Bernstein war von der fortwährenden Aktualität des Textes von Voltaire überzeugt: 

 

»[...] Wie kann man denn glauben, dass alles gut ist, wenn man immer nur das Böse am Werk sieht, wohin man auch blickt? Ganz abgesehen von Naturkatastrophen und schrecklichen Unfällen gibt es doch wohl viel zu viel menschliches ethisches Versagen, als dass man unsere Welt für die beste aller möglichen Welten halten könnte. Was Lillian Hellman umtrieb, als sie mir vorschlug, Candide auf die Musiktheaterbühne zu bringen, das war die der spanischen Inquisition fatal ähnliche Repression der McCarthy-Ära, an die wir uns heute fast gern, aber leider ungenau erinnern. Damals, in den Fünfzigerjahren [...] schien es, als sollte alles, wofür Amerika stand, von diesem Juniorsenator von Wisconsin, Joseph McCarthy, und seinen Inquisitionsgesellen zertrampelt werden.

Das war die Zeit der Hollywood Blacklist. Sie sind natürliche alle zu jung, um sich daran zu erinnern, aber es gab damals in Hollywood diese schwarze Liste. Es gab Fernsehzensur, Entlassungen, Selbstmorde, Ausbürgerungen und abgelehnte Passanträge, wenn jemand auch nur verdächtigt wurde, Kontakt zu jemandem gehabt zu haben, der verdächtigt wurde, Kommunist zu sein.

Ich kann das bezeugen: Mir wurde von meiner Regierung der Pass verweigert. Übrigens wurde Voltaire ebenso von seiner Regierung der Pass verweigert. Er beantwortete das mit Satire und Spott, so dass seine Leser lachend sich selbst wiedererkennen und sich natürlich auch rechtfertigen konnten – Was, ich? Ich doch nicht! – wodurch Diskussion und Auseinandersetzung entsteht. Und Auseinandersetzung ist ja wesentlich für die Demokratie. […]«

 

Bernstein erwähnt vor dem Publikum der Candide-Aufführung im Londoner Barbican Center 1989 nicht, dass die Verfolgungen des McCarthyism sich nicht nur gegen sogenannte »Subversive« und »Randgruppen« richteten, die dem Kommunismus zugerechnet wurden, sondern dass ab Frühjahr 1950 landesweit auch gegen Homosexuelle ermittelt wurde. Alle anti-homosexuellen Kampagnen wurden von McCarthys Chefberater Roy Marcus Cohn geplant. Die Presse sprach von perverser Gefahr (pervert peril) und lavendelfarbenem Schrecken (lavender scare). Roy Cohns Einfluss nahm ab, als Gerüchte über eine sexuelle Beziehung zu seinem Berater G. David Schine nicht mehr zu entkräften waren. Danach arbeitete er als Rechtsanwalt in New York City; einer seiner Mandanten war Donald Trump. Cohn starb 1986 an den Folgen von AIDS. Er selbst hatte immer auf dem »alternativen Faktum« bestanden, es sei Leberkrebs. Tony Kushner hat ihm in seinem Stück Angels in America: A Gay Fantasia on National Themes ein unrühmliches Denkmal gesetzt.

 

Voltaire konnte seinen provokanten Text nicht unter seinem eigenen Namen veröffentlichen. Auf dem Titelblatt behauptet er, dass die Schrift von einem anonymen deutschen Autor stamme, die ein Herr Doktor Ralph ins Französische übersetzt hätte, nebst Zusätzen, die man bei dessen Tod in Minden in seiner Tasche gefunden habe. Das scherte die römische Kirche nicht und sie setzte Candide, nachdem die Schrift 1758 erst in Genf öffentlich verbrannt und dann in Paris verboten worden war, 1762 auf den päpstlichen Index. Gegen den Verdacht, dass Voltaire der Urheber sein könnte, verwahrte der sich mit den Worten: »Ich habe wahrhaftig anderes zu tun, als solche Schulbuben-Späße zu verfassen. Leute, die mir solche Schweinereien unterstellen, müssen verrückt sein.« 

 

Und worin bestand eigentlich der Skandal? Candide erkennt zum Schluss, dass es kein Glück gewesen sein kann, als Untertan auf dem schönsten aller Schlösser unter dem mächtigsten aller Barone gelebt zu haben, sondern dass jedermann als freier Bürger ein Recht auf ein eigenes Haus hat und selbstbestimmt für seinen Lebensunterhalt tätig sein darf. Auf die Abschlussrede seines unverbesserlichen Lehrers Pangloss, in der er alle widerwärtigen Missgeschicke ihrer Abenteuerreise als notwendige Voraussetzungen für das zuletzt erlangte Glück schönredet, antwortet Candide nur: »Gut gesagt! Recht gut! – Allein wir müssen unseren Garten bestellen.«  

 

| zachow | deutsche Übertragung des Bernstein-Textes: nowak/knoch


Klemke, Hammel, Wagen, Voltaire, Eldorado
Werner Klemke, Illustration zu Voltaires Candide. 1958

ACHTZEHNTES KAPITEL Was sie in Eldorado sehen

»… Nach dieser Unterredung ließ der gute Greis sechs Hammel vor seinen Wagen spannen und gab den beiden Reisenden zwölf seiner Bedienten mit, die sie an den Hof bringen sollten…«


»West Side Story«


Leonard Bernstein

1918–1990

»West Side Story«

[1957]

daraus Nr. 6 Balkonszene:
Maria und Tony »Tonight« / »Heut Nacht«

 

 

24./25. 1. 2016  Programm Nr. 30 Verbotene Liebe