Max Bruch


Max Bruch, Komponist,
Quelle: www.archive.nrw.de
Photo © Michael Zachow
Photo © Michael Zachow

Die Grabstätte Max Bruchs

Max Christian Friedrich Bruch

oder 

Max Karl August Bruch

* 6. Januar 1838 in Köln

† 2. Oktober 1920 in Berlin

 

Max Bruch kam 1838 in Köln zur Welt. Als 14-Jähriger in der Rheinischen Musikzeitung bereits euphorisch mit Mozart und Mendelssohn verglichen, wirkte er später u. a. in Bonn, Koblenz, Breslau und London. Er starb 1920 hochgeehrt – aber von den Zeitgenossen längst als altmodisch empfunden – in Berlin, wo er bis zu seiner Pensionierung 1911 als Kompositionsprofessor an der Königlich Preußischen Akademie gelehrt hatte. Begraben liegt er auf dem Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg.

 

Es ist ein amüsantes Gedankenspiel, in den so gegensätzlichen Persönlichkeiten seiner Eltern – königlicher Polizeirat und stellvertretender Polizeipräsident der Vater, Sopranistin die Mutter – eine Wurzel zu sehen für die beiden hervorstechenden Züge, die ihr Sohn später auf musikalisch-ästhetischem Gebiet an den Tag legen sollte: Da ist einerseits die große Hinwendung zum Gesanglichen in der Musik, die sich in einer Fülle von Kompositionen für Singstimme und Chor ebenso zeigt, wie in dem ausgeprägt melodisch-lyrischen Duktus fast aller seiner Instrumentalstücke. Auf der anderen Seite stand seine äußerst starrköpfige, konservative Haltung in ästhetischen Dingen, mit der er höchst rigide in Richtig und Falsch unterteilte. Mendelssohn war ihm das Ideal und der Zeitgenosse Brahms ein Vorbild, in dessen Schatten er zeitlebens ebenso fröstelnd wie bewundernd stand. Für Reger, Debussy und Strauss hingegen, die wir heute als geniale Neuerer begreifen, hatte er nur giftige Verachtung übrig. 

 

Und daran sollte sich sein ganzes Leben lang nichts ändern: Er komponierte tatsächlich bis ins hohe Alter im selben klassisch-romantischen Stil, der schon sein berühmtes 1. Violinkonzert von 1865 auszeichnete. Dieses bis heute äußerst beliebte Werk sollte aber auch das einzige bleiben, das es zu dauerhafter Präsenz im Kanon der Musikgeschichte brachte. | jt



Doppelkonzert für Klarinette, Bratsche und Orchester


Max Bruch

1838–1920

 Doppelkonzert

für Klarinette und Bratsche mit Orchester

e-Moll op. 88 [1911]

 

1.  Andante con moto

2.  Allegro moderato

3.  Allegro molto

 

 

gespielt von

Jens Thoben, Klarinette

und Jan Larsen, Viola

8. 2. 2015   Programm Nr. 28

Titelvignette der Simrock-Notenausgabe
Titelvignette der Simrock-Notenausgabe

In jüngerer Zeit wieder häufiger gespielt wird das Doppelkonzert für Klarinette, Bratsche und Orchester. Bruch schrieb es 1911 als 73-Jähriger und widmete es seinem Sohn Felix, der ein begabter Klarinettist war. Seine Uraufführung erlebte es 1912 und wurde vom Kritiker der Allgemeinen Musikzeitung als »harmlos, weich, unaufregend und zu vornehm in der Zurückhaltung« beschrieben.

 

Dieses uns allzu harsch erscheinende Urteil muss man aus dem zeitgenössischen Kontext heraus verstehen: Zwei Jahre zuvor hatte Richard Strauss’ visionäre »Elektra« Premiere gehabt, und schon zwei Jahre später sollte Strawinskys »Sacre du printemps« für einen der bis heute größten Skandale der Musikgeschichte sorgen. So gesehen musste das Doppelkonzert Bruchs Zeitgenossen tatsächlich zahnlos und unmodern erscheinen.

 

Wir Heutigen hingegen, gewohnt, museal zu hören, erleben statt dessen ein lebendiges, reizvolles und wundervoll proportioniertes Stück Musik. Die aparte und seltene Kombination der Solo-Instrumente, als erstes von Mozart 1786 in seinem »Kegelstatt-Trio« erprobt, gibt dem Werk sein delikates, nostalgisch-wehmütiges Klangbild. Originell und für ein Solokonzert absolut untypisch ist der – ebenfalls dem »Kegelstatt-Trio« ähnliche – Aufbau mit einer kontinuierlichen Temposteigerung vom ersten bis zum dritten Satz statt des üblichen Schnell – Langsam – Schnell. Die Geschwisterhaftigkeit von Klarinette und Bratsche, die sich in Timbre und Lage so ähnlich sind, betont Bruch im ganzen Werk: Statt konzertant zu wetteifern, imitieren und umspielen die beiden Soloinstrumente sich in allen drei Sätzen wie zwei, die sich einig sind und dem Gesagten nur ihre jeweilige persönliche Nuance hinzufügen möchten.

 

Mit energischer, rhapsodischer Geste eröffnet die Bratsche den ersten Satz. Die Klarinette antwortet annähernd wörtlich, gemeinsam wird »Fahrt aufgenommen« – und dann entfaltet sich ein schlichter, herb-süßer Gesang zu getragener Streicherbegleitung, die von Horn- und Holzbläserakkorden sanft grundiert wird. Die erdige Dunkelheit der Haupttonart e-Moll weicht am verschwebenden Ende des Satzes einem sanft leuchtenden E-Dur.

 

Der zweite Satz, ein sanftes Scherzo, schwingt in anmutigem Dreivierteltakt. Im warmen G-Dur der Eckteile zeigen sich Klarinette und Bratsche melodisch bewegt, tänzerisch und verspielt, um im h-Moll-Mittelteil zu leidenschaftlichen, weitgeschwungenen Bögen auszuholen. Das Orchester präsentiert sich mit solistischen Bläserfarben (man achte auf das Englischhorn!), und duftige Pizzicati in den Streichern betonen den intermezzohaften Charakter des Satzes.

 

Das E-Dur-Finale beginnt mit einer strahlenden Fanfare der sprichwörtlichen Pauken und Trompeten, dazu wird das bereits verwendete Hörnerpaar um ein weiteres ergänzt: Bruch zieht alle klanglichen Register. Die Klarinette wirft eine funkelnde Triolenkette ins Feld, die Bratsche greift diese dankbar auf, plötzlich eine Figur mit großen Intervallen wie ein kultivierter Schluckauf, dann ein federndes Seitenthema – gutgelaunte Virtuosität allenthalben! Ein synkopierter, beinahe jazziger Kehraus läßt schließlich den nahenden Schluss des Satzes erahnen, doch meldet sich in der Flöte noch einmal für vier Takte verschmitzt das Seitenthema, bevor Bruch das Werk mit ebenso energischer Geste beendet, wie er es begonnen hat. | jt



Kol Nidrei


Max Bruch

1838–1920

 

Kol Nidrei 

Adagio nach hebräischen Melodien

opus 47 [1881]

Version für Viola und Orchester

 

Adagio ma non troppo – Un poco più animato

 

 

18. 12. 2010 

 »Schöne Bescherung« 

16. 1. 2011 

► Konzert Nr. 19

mit Alejandro Regueira Caumel, Viola


Kol Nidrei. Druck, Offenbach 1825
Kol Nidrei. Druck, Offenbach 1825
Kol Nidrei, Lewandowski

Der schon zu Lebzeiten international beachtete und anerkannte Max Bruch wurde 1907 gefragt: »Welches Ansehen werden Sie als Komponist in fünfzig Jahren, verglichen mit Brahms, genießen? Heute erfreuen Sie sich größerer Beliebtheit als er ...« Bruch antwortete: »Brahms ist zehn Jahre tot, doch noch immer wird über ihn gelästert, sogar unter den besten Musikkennern und Kritikern. Ich sage jedoch voraus, dass er im Laufe der Zeit immer mehr geschätzt werden wird, während die meisten meiner Werke nach und nach in Vergessenheit geraten. In fünfzig Jahren wird sein Glanz als der des überragenden Komponisten aller Zeiten hell erstrahlen, während man sich meiner hauptsächlich nur wegen meines g-Moll Violinkonzertes erinnern wird.«

 

So ganz Unrecht hatte er mit seiner Voraussage nicht. Dennoch: neben seinem 1. Violinkonzert ist heute auch sein für Violoncello und Orchester komponiertes Kol Nidrei oftmals im Rundfunk zu hören. Aber gerade wegen dieses Werks wurde Bruch während des Nationalsozialismus als vermeintlicher Jude aus den Konzertprogrammen verbannt – und so gerieten seine Werke, zumindest im deutschsprachigen Raum, weitgehend in Vergessenheit. 

 

Das 1880/81 in Berlin und Liverpool komponierte Kol Nidrei nimmt Bezug auf das jüdische Gebet Kol Nidrei, dessen Melodie Bruch durch den Kantor der Berliner Jüdischen Gemeinde, Abraham Jacob Lichtenstein, zu Gehör bekam. Die zweite Melodie der Komposition beruht auf dem Mittelteil von O Weep for Those That Wept on Babel’s Stream des englisch-jüdischen Komponisten Isaac Nathan aus dem Jahr 1815.

 

Kol Nidrei (aramäisch: כל נדרי, alle Gelübde) ist ein jüdisches Gebet, das vor dem Abendgebet des Jom Kippur (Versöhnungstag, der wichtigste jüdische Feiertag im Jahr) gesprochen wird. Der Ursprung des Kol Nidrei ist unbekannt. Schon in früher Zeit wurden im Judentum zahlreiche Gelübde ausgesprochen. Parallel dazu entstand das Bedürfnis, diese zu widerrufen. Eine solche Absolution konnte entweder ein Rabbi oder aber eine Versammlung dreier Laien erteilen. Diese zunächst wohl persönliche Schuldvergebung fand Einzug in die Liturgie des Versöhnungstages: 

 

»Alle Gelübde, Verbote, Bannsprüche, Umschreibungen und alles, was dem gleicht, Strafen und Schwüre, die ich gelobe, schwöre, als Bann ausspreche, mir als Verbot auferlege von diesem Jom Kippur an, bis zum erlösenden nächsten Jom Kippur – alle bereue ich,

alle seien ausgelöst, erlassen, aufgehoben,

ungültig und vernichtet, ohne Rechtskraft und ohne Bestand. Unsere Gelübde seien keine Gelübde, unsere Schwüre keine Schwüre.«

 

Kol Nidrei  ist also der Widerruf aller persönlichen Gelübde, Eide und Versprechungen gegenüber Gott, die unwissentlich oder unüberlegt abgelegt wurden. Eigentlich soll der Gläubige von Gelübden absehen, andererseits ist Ausgesprochenes aber auch einzuhalten. Ein wissentlich vor Gott gesprochener Eid hat also durchaus Gültigkeit. 

 

Trotzdem war das Kol Nidrei  ein beliebtes Ziel für antisemitische Interpretationen. Die Ansicht, der jüdische Glaube erlaube mit dem Kol Nidrei zum Beispiel einen Meineid vor Gericht oder durch dieses Gebet würden alle Verträge zwischen Juden und Nichtjuden für ungültig erklärt, ist falsch. Im reformierten Judentum war das Kol Nidrei lange Zeit aus den Gebetbüchern zum Versöhnungstag verbannt. Ein Hauptgrund, warum es heute trotzdem in den meisten jüdischen Gemeinden wieder rezitiert wird, liegt in seiner emotionalen Bedeutung. 

 

Die Melodie zum Kol Nidrei  ist eines der berühmtesten Beispiele für jüdische Musik und fand durch Max Bruch Eingang in die Kunstmusik. 

 

In diesem Sinne:

Wir bitten um Verzeihung für alle falschen Töne, verpassten Einsätze, Missklänge und sonstigen Patzer, die uns während dieses Konzerts (und aller weiteren) unwissentlich oder unüberlegt unterlaufen sollten. | Michael Knoch

 

Quellen:

– Abell, Arthur M.: Gespräche mit berühmten Komponisten, Artha, o. J. – http://de.wikipedia.org/wiki/Kol_Nidre – Wikimedia Commons

– Jüdisches Fest, jüdischer Brauch / hrsg. von Friedrich Thieberger ... Nachdruck der im Jahr 1937 von den deutschen Behörden beschlagnahmten und vernichteten Erstauflage. Frankfurt a. M. [Jüdischer Verlag, 1997]; www.payer.de/judentum/jud511.htm