George Gershwin


George Jacob Gershwin

* 26. September 1898 in Brooklyn, New York City

† 11. Juli 1937 in Hollywood



Rhapsody in Blue


George Gershwin

 1898–1937

 

Rhapsody in Blue

Fassung von 1942

UA 1924

 

Solist: Alexander Wienand, Klavier
Klarinettensoli: Martina Brettingham-Smith

 


26./27. 2. 2017 

► Programm Nr. 32

 

Hirschfeld, Gershwin

Al Hirschfeld (1903–2003)

George Gershwin mit Zigarettenspitze.

31. Dezember 1969,

Zeichnung


Ein Experiment sollte es sein, eine Versuchsanordnung, aus dem Jahr 1924: Würde es gelingen, in einem neuartigen Musikstück Jazz und konzertante Sinfonik zu verbinden? Wie würden die Hörer auf so einen Stilmix reagieren?

 

Initiator für das Musik-Experiment war der Bandleader Paul Whiteman. Er leitete seit 1920 ein Orchester, das sich größtenteils aus weißen Jazzmusikern zusammensetzte. Whiteman war außerordentlich erfolgreich, organisierte große Tourneen und landete oft mit seinen Arrangements, bei denen gelegentlich auch Streicher beteiligt waren, auf den vorderen Plätzen der Charts. Seine Schallplatte Whispering wurde millionenfach verkauft. Doch Whitemans Ideen reichten über die Unterhaltungsmusik hinaus: Neue Musik sollte entstehen, eine Symbiose von sinfonischer Klassik und Jazz – unter der Fragestellung: “What Is American Music?”. Zur Umsetzung brauchte er einen jungen Komponisten, der bereit war, sich auf das Experiment einzulassen. 

 

Die Wahl fiel auf George Gershwin, mit dem Whiteman bereits überaus erfolgreich am Broadway zusammengearbeitet hatte. Whiteman erkannte das Potenzial dieses jungen Komponisten. George Gershwin, 26-jährig, blickte bereits auf eine steile Karriere als weißer Jazzpianist jüdischer Abstammung zurück. Seinen Durchbruch hatte er 1918 mit dem Ragtime-Song Swanee, dem große Erfolge mit Broadway-Musicals folgten. Whiteman benötigte einiges an Überredungskunst, Gershwin für sein Experiment zu gewinnen. Erst wenige Wochen vor dem Konzerttermin sagte Gershwin zu und arbeitete dann unter Hochdruck an der Komposition. Er lieferte ein Manuskript für zwei Klaviere, das von dem Arrangeur des Whiteman-Orchesters, Ferde Grofé, orchestriert wurde. Dabei berücksichtigte Grofé Talent und Vermögen einzelner Spieler und schrieb ihnen gewisse Partien des Stückes auf den Leib.

 

Wie eng die Rhapsody mit dem Whiteman-Orchester verknüpft ist, zeigt sich am Beispiel des berühmten Klarinetten-Beginns. Gershwin hatte ursprünglich einen Triller mit Tonleiter vorgesehen. Der Klarinettist des Orchesters machte ein Glissando daraus, also einen Schleifer ohne erkennbare einzelne Töne. Das gefiel Gershwin so sehr, dass er den Beginn entsprechend änderte.

Es leuchtet ein, dass Gershwin für das Musik-Experiment die Gattung der Rhapsodie wählte, also eines Musikstücks, das nicht an die konventionellen Strukturen wie beispielsweise die Sonatensatz- oder Rondoform gebunden ist. Vielmehr erlaubt es die freie Aneinanderreihung von Themen, ohne diese, wie in der Sinfonik üblich, thematisch verarbeiten zu müssen. Die Rhapsodien der klassischen Musik, beispielsweise von Franz Liszt oder Maurice Ravel, benutzen als thematisches Material sehr gerne Melodien aus der Volksmusik. Die Quellen für Gershwins Rhapsody-Themen liegen folgerichtig in der Jazzmusik der 1920er-Jahre. 

 

Die Synthese zwischen Jazz und Sinfonik ist jedoch nicht unproblematisch. Auch eine Rhapsodie benötigt einen thematischen Zusammenhalt, damit der Hörende das Stück nicht als chaotisch empfindet. Gershwin löst das Problem, indem er beispielsweise das Eingangsthema am Ende wiederholt, so dass eine Klammer entsteht. Für das musikalische Verarbeiten von Themen, wie es in der Sinfonik üblich ist, eignen sich die Jazzthemen jedoch nur bedingt.

 

Unverzichtbarer Bestandteil der Rhapsody in Blue ist ihr Klavierpart, ja fast erscheint sie wie ein einsätziges Klavierkonzert. In der Uraufführung am 12. Februar 1924 in der Aeolian Hall in New York spielte Gershwin selbst den Klavierpart – und er improvisierte! Es war keine Zeit geblieben, alles zu Papier zu bringen, und so lag auf Gershwins Pult nur ein knapper Klavierauszug mit dem Hinweis “Wait for nods” – „Warte, bis dir einer zunickt“. Beste Jazzpraxis also. Deshalb ist es heute nicht mehr möglich, die Fassung der Uraufführung exakt zu rekonstruieren. Erst viel später wurde der Klavierpart ausnotiert. Auch der Instrumentalpart erhielt noch Veränderungen durch den Arrangeur Grofé, der 1926 und 1942 Fassungen für jeweils größeres Orchester ausarbeitete. concentus alius spielt heute die Fassung von 1942. 

 

Und warum hat die Rhapsody eigentlich den Zusatz in Blue? Ein schönes Wortspiel: Eigentlich gehört an diese Stelle ja eine Tonartbezeichnung. Ist die Anspielung auf die Blue Notes des Jazz oder auf den Blues intendiert? Gut möglich. Blue ist aber vor allem eine Farbe. Farben, Klangfarben, gibt es ja auch in der Musik! Inspiriert von dem Maler James Whistler, der seinen Bildtiteln gerne einen Zusatz wie in Blue oder in Grey gab, schlug Gershwins begabter Bruder Ira den bis heute gültigen Titel vor. 

 

Ist Whitemans Experiment gelungen – konnte einer neuen amerikanischen Musik der Weg geebnet werden? Ja, der Erfolg der Rhapsody in Blue bis heute spricht für sich. Nach der Uraufführung zunächst zwiespältig besprochen, haben sich schon bald die Wucht und Eingängigkeit der Melodien im Zusammenklang mit dem großen Sinfonieorchester durchgesetzt. Auf der Suche nach einer authentischen amerikanischen Musik konnte der Jazz als ureigene amerikanische Musikrichtung bestehen. | beatrice szameitat