Carl Orff




Carmina Burana


Carl Orff

1895–1982

Carmina burana

Lieder aus Benediktbeuren

Cantiones profanae cantoribus et choris cantandae comitantibus instrumentis 

(atque imaginibus magicis)  

Weltliche Gesänge für Soli und Chor mit Begleitung von Instrumenten (und mit Bildern)

[1934–36, UA Frankfurt 1937]

 

Aufführung am 8. Juli 2018

Programm  Nr. 35

Konzertsaal der Universität der Künste Berlin, Hardenbergstraße

 


Fortuna imperatrix mundi | Glück, die Kaiserin der Welt

O Fortuna | Oh Schicksal

2 Fortune plango vulnera | Die Wunden, die Fortuna schlug

 

Primo vere | Frühling

3 Veris leta facies | Frühlings heiteres Gesicht

4 Omnia Sol temperat | Alles wärmet Sonne auf

5 Ecce gratum | Auf, zu grüssen

 

Ûf dem Anger | Auf dem Anger

6 Tanz

7 Floret silva nobilis | Blühend wird der edle Wald

8 Chramer, gip die varwe mir | Krämer! Gib die Farbe mir

9 Reie | Reigen

10 Were diu werlt alle min | Wäre auch die Welt ganz mein

 

II In taberna | Im Wirtshaus

11 Estuans interius | Glühend in mir

12 Olim lacus colueram  (Cignus ustus cantat) | Einst schwamm ich auf den Seen umher (Der gebratene Schwan singt)

13 Ego sum abbas | Ich bin der Abt

14 In taberna quando sumus | Wenn wir in der Schenke sitzen

 

III cour d’amours | Minnehof

15 Amor volat undique | Amor fliegt überall

16 Dies, nox et omnia | Tag, Nacht und Alles

17 Stetit puella | Stand da ein Mägdelein

18 Circa mea  pectora | In meinen Herzen sind viele Seufzer

19 Si puer cum puellula | Wenn Knabe und Mägdelein

20 Veni, veni, venias | Komm, komm, komme!

21 In trutina | Unentschieden

22 Tempus est iocundum | Lieblich ist die Zeit

23 Dulcissime | Süßester

 

Blanziflor et Helena | Blanziflor und Helena

24 Ave formosissima | Heil Dir, Schönste

 

Fortuna imperatrix mundi | Glück, die Kaiserin der Welt

25 O Fortuna | Oh Schicksal

 


Fortuna hatte es mit mir gut gemeint, als sie mir einen Würzburger Antiquariatskatalog in die Hände spielte, in dem ich einen Titel fand, der mich mit magischer Gewalt anzog: Carmina Burana / Lateinische und deutsche Lieder und Gedichte einer Handschrift des XIII. Jahrhunderts aus Benedictbeuern / herausgegeben von J. A. Schmeller. Diese Handschrift hatte sich im Kloster Benediktbeuern befunden, ehe sie im Zuge der Säkularisation der bayerischen Klöster nach München in die Königliche Hof- und Zentralbibliothek kam. Ihren Namen »Carmina Burana« – Lieder aus Benediktbeuern – erhielt sie von ihrem Herausgeber, dem hochverdienten Bibliothekar Johann Andreas Schmeller, der sie im Jahre 1847 erstmals veröffentlichte. An dem für mich denkwürdigen Gründonnerstag 1934 erhielt ich das Buch. Beim Aufschlagen fand ich gleich auf der ersten Seite die längst berühmt gewordene Abbildung der »Fortuna mit dem Rad«. Darunter die Zeilen:

O Fortuna velut luna statu variabilis ...

Johann Andreas Schmeller: Carmina Burana. 1847 – Bayerische Staatsbibliothek digital
Johann Andreas Schmeller: Carmina Burana. 1847 – Bayerische Staatsbibliothek digital

Bild und Wort überfielen mich. Obwohl ich mich fürs erste nur in großen Zügen mit dem Inhalt der Gedichtsammlung vertraut machen konnte, stand sofort eine neues Werk, ein Bühnenwerk mit Sing- und Tanzchören, nur den Bildern und Texten folgend, in Gedanken vor mir. Noch am selben Tag hatte ich eine Particell-Skizze vom ersten Chor »O Fortuna« entworfen. Nach einer schlaflosen Nacht, in der ich mich in der umfangreichen Gedichtsammlung fast verloren hätte, war auch ein zweiter Chor »Fortunae plango vulnera« entstanden, und am Ostermontag (1934) war ein dritter, »Ecce gratum«, zu Papier gebracht. 

 

Es war nicht leicht, sich in dem Codex mit über 250 Liedern und Gedichten zurechtzufinden. Die meisten waren in spätlateinischer Sprache verfaßt; es gab aber auch eine größere Zahl in Mittelhochdeutsch, dazu Mischformen von lateinischen Texten mit altfranzösischen Einsprengseln oder Refrains. Eine große Zahl kürzerer lateinischer Texte war leicht zu lesen, wogegen andere mit dreißig und mehr Strophen nicht so einfach zu überschauen und zu entziffern waren. Michel Hofmann, der geschichts- und sprachkundige Archivar, der später auch für das Textbuch der Carmina Burana eine Einführung schrieb, war mir dabei behilflich. Es begann ein Suchen und Sichten, ein Finden und Verwerfen. Bei wiederholtem Lesen lösten sich aus den vielstrophigen Gedichten auch einzelne Strophen, die dann in neue Zusammenhänge gerieten. So war der textliche Aufbau der »szenischen Kantate« bald festgelegt [...].

Ich wußte wohl, daß verschiedene der Gedichte in der Originalhandschrift neumiert waren, so auch das auf der ersten Seite unter dem Titelbild stehende fas et nefas ambulant. Aber ich konnte und wollte keine Studie über die mögliche Erschließung dieser alten Notenschrift betreiben und ließ sie völlig unberücksichtigt. Was mich bewegte, war ausschließlich der mitreißende Rhythmus wie die Bildhaftigkeit dieser Dichtungen und nicht zuletzt die vokalreiche Sprache und einzigartige Knappheit der lateinischen Sprache.

Zusammen mit dem Text wuchs die Musik schnell heran. In wenigen Wochen war das ganze Werk »vorspielbar«, so daß ich schon Anfang Juni eine Reise zu meinem Verlag nach Mainz unternehmen konnte. Als Unterlage für mein Vorspiel hatte ich lediglich einen maschinengeschriebenen Text. Die Musik war in mir so fertig und lebendig, daß ich keiner Notenstütze bedurfte. Auf die Frage nach der Partitur mußte ich zugeben, daß es eine solche noch nicht gäbe und außer einigen gedächtnisstützenden Particells keine Aufzeichnungen bestünden. Spätestens bis Weihnachten wollte ich die druckreife Partitur einsenden.

Jedenfalls waren meine Freunde Ludwig und Willy Stecker und die anderen Mitarbeiter des Schott-Verlags von dem neuen Werk überzeugt und stellten in Bezug auf den zu erwartenden Erfolg kühne Prognosen. Nur der lateinische Text machte einigen von ihnen noch Sorgen; auch bedauerte man, daß das Werk nicht abendfüllend war.

 

War die Musik der Carmina Burana auch schnell entstanden, so kam ich doch, durch immer wieder dazwischen anfallende Verpflichtungen gehindert, mit der Ausarbeitung der Partitur nur langsam voran. Erst im Frühjahr 1935 konnte ich Teile davon fertigstellen und im August 1936 den Schlußstrich unter die Reinschrift ziehen. 

Carl Orff, Trionfi, Dokumentation, Band IV, Tutzing 1979, S. 38 ff.

 

 

Alles, was ich bisher geschrieben und Sie leider gedruckt haben, können Sie nun einstampfen. Mit Carmina Burana beginnen meine gesammelten Werke. [Orff nach der Uraufführung 1937 zu seinem Verleger]