Jean Sibelius


Johann Julius Christian (»Jean«) Sibelius

* 8. Dezember 1865 in Hämeenlinna, Finnland

† 20. September 1957 in Järvenpää bei Helsinki



Violinkonzert


Jean Sibelius

1865–1957

 Konzert für Violine

und Orchester d-Moll

opus 47

[1903 | UA 1905 Berlin]

 

1  Allegro moderato – Largamente – Allegro molto – Moderato assai –

Allegro moderato –

Allegro molto vivace

2  Adagio di molto

3  Allegro ma non tanto

 

 

 10. /11. 6. 2016 ► Programm Nr. 31

mit Daniel Röhn, Violine


wikimedia
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Ernst Josephson

Näcken (Der Nöck) 1881–84 

 Öl auf Leinwand, 144 x 114 cm

Stockholm, Nationalmuseum

Neuerdings [1903] arbeitete er [Sibelius] an der Metamorphose in einen Teufelsgeiger. Der jugendliche Traum vom Virtuosentum stellte sich wieder ein, er fantasierte sich nächtelang in Höhen hinauf, wohin ihm niemand zu folgen vermochte. Begeistert und besorgt berichtete Aino [Sibelius’ Ehefrau] davon einem Freund: »Er hat eine solche Masse von Motiven, die sich ihm aufdrängen, dass er förmlich verrückt war im Kopf. Die Nacht hindurch wacht er, spielt wunderbar schön, kann sich nicht losreißen von den bezaubernden Tönen.« Aber: »Ein Frauenhirn kann die Wogen eines Künstlers – eines schaffenden – nicht aushalten, die manchmal so wild gehen, dass man sich fürchtet.« 

 

Wildheit ist auch das Alleinstellungsmerkmal dieses Violinkonzerts d-Moll. Es wurde in Ekstase empfangen und ohne einen virtuosen Geburtshelfer zur Welt gebracht. Anders als Brahms oder Tschaikowsky brauchte Sibelius keine professionelle Hilfe für den Solopart. Obwohl mit Bedacht ausgearbeitet und gründlich revidiert, wirkt das Konzert wie die Improvisation eines Besessenen. Vergleiche zu Ernst Josephsons Bild »Der Nöck« drängen sich auf: Wie der schwedische Künstler den Wassergeist auffasste, verzückt die Geige spielend, umtost vom eisig klaren Fluss, so bestehen im Violinkonzert südländische Leidenschaft und nordische Verinnerlichung nebeneinander – Paganini am Polarkreis ... 

 

Das Gemälde Josephsons sah Sibelius wahrscheinlich erst 1915 in Göteborg, aber dem Geist des Malers und Dichters fühlte er sich dunkel verbunden. Er hatte 1899 »Schwarze Rosen vertont«, 1908 folgte »Jubal« und 1909 ein kompletter Liederzyklus nach Josephson. Die unterschiedlichen Lebensschicksale – Josephson erkrankte nicht nur an Syphilis, sondern auch an Schizophrenie – widerlegen nicht, dass eine starke Ähnlichkeit der seelischen Disposition vorlag. »Der Nöck« als Imago von Irrsinn und Eros ist tatsächlich der Doppelgänger des Violinkonzerts; entgegen einer frühen Kritik, die von Grau in Grau sprach, stimmt auch die Farbgebung des Gemäldes mit dem Musikstück überein, Josephson und Sibelius bevorzugen einen metallisch glänzenden blaugrauen Ton. 

 

Süßlichen Sonntagsfrieden wie so viele Violinkonzerte verbreitet Sibelius’ Gattungsbeitrag also nicht; am ehesten erfüllt noch der mittlere Adagio-Satz, eine Romanze in B-Dur, die üblichen Erwartungen, wobei die von Aino gefürchteten Wogen auch hier einmal sehr hoch gehen. Der große Wurf ist der 1. Satz. Das Konzertante und das Sinfonische finden in diesem Allegro moderato zu einer unauflöslichen Einheit, die Form des Sonatenhauptsatzes wird stark modifiziert: Die eigentlich ans Satzende, kurz vor das letzte Orchestertutti gehörende Kadenz des Solisten fungiert bei Sibelius als Durchführung und leitet zur Reprise über. Das Finale wurde als »Polonaise für Eisbären« missverstanden. Halbwegs richtig daran ist das Dreiermetrum, doch fallen Polonaisen gewöhnlich feierlicher aus und Eisbärtänze behäbiger. Für eine Tarantella wiederum ist dieses Allegro ma non tanto nicht schnell genug. 

 

Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte gab das Violinkonzert ein großes Rätsel auf. Befand Sibelius sich 1903 in einem solchen Verzückungszustand, oder war der euterpistisch [Euterpe = griechische Muse der lyrischen Dichtkunst] bedingte Pegelstand derart hoch, dass er dem eigenen Interesse völlig zuwider handelte und den renommierten Geiger Burmester gleich zweimal vor den Kopf stieß? Sie kannten sich seit Mitte der 90er-Jahre, als Willy Burmester im Kreise des »Symposium« verkehrte und hauptberuflich Konzertmeister des Orchesters in Helsingfors [Helsinki] war. Sibelius hatte ihm die Widmung des Violinkonzerts und die Uraufführung in Berlin unlängst zugesagt, es ging nur noch um das passende Datum. Da sich die Terminsuche schwierig gestaltete, übertrug der Komponist die Uraufführung kurzerhand einem drittklassigen Musiker, dem Tschechen Viktor Nováček  der die Sache dann im Februar 1904 auch prompt vergeigte. Sibelius suchte die Schuld am dürftigen Erfolg nicht bei Nováček  sondern beim Publikum in Helsingfors, das er für »oberflächlich und eingebildet« hielt. Eine Aufführung in Helsingfors bedeute nichts, beschwor er Burmester, und der zeigte sich noch einmal gnädig; nur Tschaikowsky habe etwas ähnlich Wunderbares geschaffen! Man verabredete sich für Berlin. Doch als der Termin heranrückte, rückte Sibelius von seinem Werk ab. Er beschloss eine gründliche Umarbeitung, das Ausland mochte warten. Die Uraufführung der Endfassung ging schließlich im Oktober 1905 vonstatten. Richard Strauss dirigierte seine Hofkapelle Berlin, deren Konzertmeister Karl Hálir spielte den Solopart. Gewidmet wurde das Werk schließlich dem ungarischen Wunderkind Franz von Vecsey. 

 

Benahm sich Sibelius unmöglich, irrational? Oder hatte er Gründe für dieses Benehmen? Es könnte sein, dass er Willy Burmesters Künste nicht so hoch schätzte wie dieser selbst, aber keine offene Kritik äußern wollte. Es im Repertoire zu verankern, wäre Burmester wohl genauso wenig wie Vecsey gelungen. Es gab zahlreiche Aufführungen in Europa und Amerika, meist unter mittelprächtigen Solisten, aber keinen echten Durchbruch. Das Werk, an dem heutzutage kein Musiker zu zweifeln wagt, erntete drei Jahrzehnte lang die lächerlichsten Verrisse. Erst Jascha Heifetz positionierte es in der Spitzengruppe epochaler Solokonzerte.

 

| Volker Tarnow: Sibelius. Biografie, Leipzig; Kassel (Henschel/Bärenreiter) 2015, S. 143–146. Abdruck mit freundlicher Erlaubnis des Henschel-Verlags.



Valse triste


Jean Sibelius

1865–1957

 Valse triste
aus der Bühnenmusik

zu Arvid Järnefelds Drama »Kuolema« (»Der Tod«)
op. 44 Nr. 1

[Helsinki 1904.

Erneuerte Fassung aus der Musik, die zur ersten Szene des Schauspiels 1903 komponiert worden war]

 

 

► Dritter Auftritt – Konzert im Casino der Berliner AIDS-Hilfe 9. 12. 2000

 

► Sechster Auftritt – Programm mit den Classical Lesbians,Various Voices 22. 5. 2001

Über Sibelius’ ► Bühnenmusik zu Järnefelds Schauspiel Der Tod

Hugo Gerhard Simberg 1873–1917 (Finnland)

Tanssi kuoleman kanssa | Tanz mit dem Tod

Öl auf Leinwand 26 x 36 cm