Kurt Weill


Kurt Julian Weill

* 2. März 1900 in Dessau

† 3. April 1950 in New York City, New York



Der Silbersee


Kurt Weill

1900–1950

 Silbersee-Suite für Orchester

 nach dem Bühnenwerk

in drei Akten

»Der Silbersee,

Ein Wintermärchen«

Text von Georg Kaiser

[1932/33]

 

Suite [1952] zusammengestellt von Karel Salomon (1897–1974)

 

1   Introduktion 

2   Das Lied von der Haltung

3   Das Lied von der Rache

4   Das Lied vom Silbersee

5   Das Lied vom Weizenbrot

6   Finale

 

 

5. 6. 2011 ► Programm Nr. 20


Kurt Weill ist heute im öffentlichen Bewusstsein mehr oder minder nur als Anhängsel von Bertolt Brecht präsent – so »als hätte eine Art osmotischer Druck es dem Begriff ›Brecht‹ erlaubt, den Begriff ›Weill‹ in sich aufzunehmen und völlig zu absorbieren«, wie der Doyen der Weill-Forschung David Drew einmal klagte. Aus Weills eigener Perspektive dürfte dabei die Bekanntschaft mit dem expressionistischen Dramatiker Georg Kaiser (1878–1945) ebenso wichtig gewesen sein wie die mit Brecht, wenn nicht wichtiger. Noch bevor Weill die Zusammenarbeit mit Brecht begann, schrieb er auf Texte Kaisers zwei für seine Entwicklung bedeutsame Operneinakter: Der Protagonist (1924/25) und Der Zar lässt sich photographieren (1927). Im Sommer 1932, schon einige Zeit nachdem sich der Komponist mit Brecht überworfen hatte, nahmen Weill und Kaiser erneut ein gemeinsames Projekt in Angriff: das »Wintermärchen« Der Silbersee. 

 

Die Anspielung auf Karl Mays Der Schatz im Silbersee in diesem als Mischung von Oper und Schauspiel angelegten Werk ist wohl Absicht; jedenfalls liegt eine Mobilisierung des utopischen Moments der Wildwest-Romantik durchaus im Sinn des Stücks als Gesellschaftsparabel: Der mittellose ›proletarische‹ Severin beteiligt sich aus schierer Not am Überfall auf einen Lebensmittelladen, erbeutet eine Ananas und wird vom ›bürgerlichen‹ Polizisten Olim niedergeschossen, der daraufhin von Schuldgefühlen geplagt wird. Ein Lotteriegewinn versetzt Olim in die Lage, ein Schloss zu kaufen, um Severin dort gesund zu pflegen, während er selbst unerkannt bleiben will. Olims Inkognito wird jedoch bald gelüftet, und die als Haushälterin angestellte verarmte Adlige, Frau von Luber, nutzt die durch Severins nun überkochende Rage ausgelösten Verwicklungen, um sich das Schloss anzueignen und die »alte Ordnung« wiederherzustellen. Olim und Severin, am Ende versöhnt, werden vor die Tür gesetzt und wollen sich im Silbersee ertränken. Auf dem Weg dorthin verwandelt sich die Winter- in eine Frühlingslandschaft; der See jedoch bleibt zugefroren. Auf seiner Oberfläche gehen die Freunde einer vielleicht besseren Welt entgegen: »Wer weiter muss, den trägt der Silbersee«.

 

Am 18. Februar 1933, schon fast drei Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, hatte Der Silbersee, der auch sehr deutliche Stellungnahmen zu den Ambitionen des »Führers« enthält (»Cäsar wollte mit dem Schwert regieren, und ein Messer hat ihn selbst gefällt«), in Leipzig, Erfurt und Magdeburg Premiere. In Leipzig führte Detlef Sierck Regie, der später in Hollywood als Douglas Sirk bekannt wurde; in Magdeburg spielte Ernst Busch die Rolle des Severin. Der Leipziger Rezensent des NS-Organs Völkischer Beobachter stieß am 24. Februar unverhohlene Drohungen aus: »Detlef Sierck, der die Aufführung für das Leipziger Alte Theater annahm und – mit den vertraglich vorgeschriebenen Raumbildern Caspar Nehers! – in Szene setzte, hat dem Berliner Literatentum und seinen vorgestrigen intellektuellen Trabanten einen Dienst erwiesen, der ihn noch teuer zu stehen kommen kann!« Am 4. März wurde das Stück im Deutschen Reich zum letzten Mal gespielt; am 21. März, dem berüchtigten »Tag von Potsdam«, floh Weill, der als jüdischer »Kulturbolschewist« die Verhaftung fürchten musste, nach Frankreich.

 

Der israelische, aus Heidelberg gebürtige Komponist Karel Salmon (Karl Salomon) stellte 1952 aus einigen Nummern des Silbersee die heute gespielte Konzertsuite zusammen. Sie enthält instrumentale Versionen u. a. des Walzerlieds der zwei Ladenmädchen mit der Refrainzeile »Wie mit den Menschen ist es mit der Preisgestaltung, mehr als der inn’re Wert gilt oft die äuß’re Haltung« (Nr. 2), der Rache-Arie Severins (Nr. 3), die, bewusst oder nicht, Hanns Eislers klassenkämpferisches Kominternlied (1929) anklingen lässt, und des in seiner agitatorischen Verve ebenfalls an Eisler erinnernden Marsch-Songs »Der Bäcker backt ums Morgenrot« (Nr. 5), dessen Refrain »Schnalle deinen Gürtel enger um ein Loch! Erst denkt man, es geht nicht, und dann geht’s doch!« sich wie ein aktueller Kommentar zu den Auftritten gewisser gutbezahlter Professoren mit Pensionsanspruch ausnimmt, die landauf, landab verkünden, dass »wir« über unsere Verhältnisse leben.

In struktureller Hinsicht knüpft die Musik zum Silbersee an den »Songstil« der Werke aus der Zusammenarbeit Weills mit Brecht an. Dies gilt insbesondere für Weills Markenzeichen: eine an sich konventionelle Harmonik, die jedoch die erwarteten Stationen ihres Fortschreitens immerzu haarscharf zu verfehlen scheint – »dicht vorbei« heißt hier aber gerade nicht »auch daneben«, sondern mitten ins Schwarze getroffen. 

 

Ein wesentlicher Unterschied zum ursprünglichen Songstil besteht dagegen in der (von Salmon modifizierten) Instrumentation für klassisches Orchester und damit der Abwesenheit der für Weills ›Dreigroschensound‹ so überaus typischen ›Jazz-Instrumente‹ Saxophon und Banjo. Umso verblüffender ist der Effekt des Einsatzes dreier Tomtoms, deren Klang in der gegebenen instrumentalen Kombination zwar exotisch-fremd, aber kaum noch jazzmäßig anmutet. In der Tat gelingt Weill, indem er den Unterhaltungsmusik-Assoziationen seines Stils durch die klassizistische Aufbereitung ihre Eindeutigkeit nimmt, ohne sie ganz zu neutralisieren, im Silbersee eine unerhört originelle Synthese von bodenständig-populärem Moritatenton und märchenhafter Entrücktheit. | Tobias Faßhauer

 

Quellen:

– www.kurt-weill.de 

– David Drew (Hrsg.), Über Kurt Weill, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1975



Walt Whitman Songs


Kurt Weill

1900–1950

 Walt Whitman Songs

für Singstimme und Orchester

[1942]

 

I. Oh Captain! My Captain!

II. Beat! Beat! Drums!

III. Dirge for Two Veterans 

 

Englische Texte und ihre deutschen Übertragungen siehe unten 

 

 

20./21. 2. 2010  ► Programm Nr. 17


Walt Whitman,

Portrait Walt Whitman.

Frontispiz in »Memoranda during the war«, Camden, NJ, 1875–186

 

Kurt Weill war Amerikaner: „Obgleich ich in Deutschland geboren bin“, schrieb er 1947 an das Magazin Life, „halte ich mich nicht für einen ‚deutschen Komponisten‘. Die Nazis haben mich eindeutig nicht für einen solchen gehalten, und ich verließ ihr Land 1933 (ein Arrangement, das sowohl mir als auch meinen Herrschern günstig gelegen kam). – Ich bin amerikanischer Staatsbürger, während meiner zwölf Jahre in diesem Land habe ich ausschließlich für die amerikanische Bühne komponiert […].“ Als Jude und „Kulturbolschewist“ aus Deutschland vertrieben, hatte Weill zunächst in Frankreich Zuflucht gefunden; im September 1935 führte ihn die Produktion seines von Franz Werfel getexteten Bibeldramas The Eternal Road (Der Weg der Verheißung) nach New York. Schon bald nach seiner Ankunft entwickelte Weill eine starke Identifikation mit den USA und ihrer Kultur und Geschichte; 1943 erfolgte seine Einbürgerung.

 

Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor und der deutschen und italienischen Kriegserklärung an die USA im Dezember 1941 stellte Weill sein Talent in den Dienst der Kriegsanstrengungen an der Heimatfront. Zu den ersten Zeugnissen dieses Engagements gehören drei um die Jahreswende 1941/42 komponierte, der Organisation Fight for Freedom zugedachte Lieder auf Gedichte von Walt Whitman (1819–1892), die Weill den Sammlungen Drum-Taps (1865) und Sequel to Drum-Taps: When Lilacs Last in the Door-Yard Bloom’d and Other Pieces (1865/1866) entnahm. Whitman reflektiert hier, vom Standpunkt eines um den Fortbestand der amerikanischen Republik besorgten Demokraten, die Erfahrungen des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861–65), den er als freiwilliger Sanitätshelfer erlebte.

 

Weill schrieb seine drei Whitman-Songs zunächst für Gesang und Klavier, und in dieser Fassung wurden sie um die Jahresmitte 1942 publiziert. Die Entstehung der Orchesterfassung lässt sich nicht genau datieren. Der Komponist hoffte, den prominenten afroamerikanischen Sänger Paul Robeson für die Songs interessieren zu können und schenkte ihm ein Exemplar der Druckausgabe mit persönlicher Widmung, doch ist Robesons Reaktion nicht überliefert. Eine Aufführung noch zu Kriegszeiten ist weder für die Klavier- noch die Orchesterfassung belegt.

 

Im Sommer 1947 fügte Weill für eine Einspielung der Songs mit dem Tenor William Horne und dem Pianisten Adam Garner eine vierte Whitman-Vertonung hinzu, die er jedoch nicht mehr selbst orchestrierte: Come up from the Fields, Father. Die heutige Aufführung beschränkt sich auf die drei 1941/42 entstandenen Lieder, die in der Reihenfolge ihrer Erstveröffentlichung erklingen. Come up from the Fields, Father, das erst 1956, sechs Jahre nach dem Tod des Komponisten, von Carlos Surinach orchestriert wurde, entfällt.

 

O Captain! My Captain! ist Whitmans wohl populärstes Gedicht – und mit Endreimen und Regelmaß zugleich eines der für ihn am wenigsten typischen. Gerade diese Merkmale gaben Weill die Gelegenheit zu einer bemerkenswert Broadway-nahen Vertonung. Der Kapitän, der sein Schiff aus stürmischer See in den sicheren Hafen führt, aber selbst die Einfahrt nicht mehr erlebt, steht für Präsident Abraham Lincoln, der im April 1865 nur wenige Tage nach der Kapitulation der konföderierten Hauptarmee und damit dem faktischen Ende des Bürgerkriegs einem Attentat zum Opfer fiel. (Später ließ sich das Bild des fallen captain auf Franklin D. Roosevelt übertragen, der im April 1945 einer Hirnblutung erlag, noch ehe der „Führer“ in seinem Bunker sich die Kugel gab.)

Das Gedicht Beat! Beat! Drums! ist hinsichtlich seiner inhaltlichen Aussage als durchaus ambivalent zu bezeichnen. Weill selbst sah darin einen „leidenschaftlichen ‚Ruf zu den Waffen‘“. Allerdings bezieht sich diese Äußerung auf eine außerhalb der Whitman Songs verwendete Fassung seiner Vertonung dieses Textes, nämlich jene, die Mine Eyes Have Seen the Glory beschließt, eine für Fight for Freedom von der Schauspielerin Helen Hayes bei Weill in Auftrag gegebenen Folge von vier „patriotischen Melodramen“ für Sprechstimme, Chor und Orchester, die Ende März 1942 auf Schallplatte aufgenommen wurde. In diesem Zyklus steht Beat! Beat! Drums! neben Bearbeitungen solcher ungetrübt patriotischen Reißer wie The Star-Spangled Banner und Battle Hymn of the Republic. In den Whitman Songs dagegen, in der Umgebung von Liedern eher kontemplativen Charakters, scheint es näher zu liegen, Text und Musik als Darstellung entpersönlichten kriegerischen Furors zu deuten, der eine unvorbereitete Zivilgesellschaft brutal überrollt. Die musikalische Sprache dieser Nummer verweist mit der Kombination aus archaisch wirkender Quarten-Quinten-Harmonik, hämmernden Ostinato-Formeln und Fanfarenstößen zurück auf Weills Berliner Songstil, und zwar namentlich auf den Kanonensong aus der Dreigroschenoper, der seinerseits vom Krieg (und von Kriegslüsternheit) handelt.

 

Am 28. Januar 1942 schrieb Weill an seine Ehefrau Lotte Lenya: „Ich schreibe einen neuen Whitman-Song (‚Dirge for Two Veterans‘), der glaube ich der beste wird […].“ Die Textvorlage dieses Songs schildert das Begräbnis zweier Soldaten: „Sohn und Vater, gemeinsam gefallen“. Die Komposition zitiert das amerikanische Zapfenstreich-Signal Taps, das während des Bürgerkriegs eingeführt wurde und bei beiden Kriegsparteien Verwendung fand. An der Orchestrierung dieses Liedes beteiligte Weill seinen Assistenten Irving Schlein.

 

Als Beiträge zum Genre der Propaganda-Kunst erscheinen die Walt Whitman Songs seltsam verfehlt. So dürften sich Oh Captain! My Captain! und Dirge for Two Veterans mit ihrem Ausdruck der Trauer und der Erschütterung kaum zur Erzeugung von Kriegsbegeisterung anbieten, und selbst der aufpeitschenden verbalen und musikalischen Rhetorik in Beat! Beat! Drums! fehlt die unzweideutig affirmative Stoßrichtung, die sie für diesen Zweck erst brauchbar machen würde. In betonter Wahlverwandtschaft mit Whitman wahrt Weill noch beim Einsatz für den War Effort die Haltung des Humanisten, der den Krieg in der gegebenen politischen Situation als zwar notwendiges, aber doch als Übel begreift. | Tobias Faßhauer

 

Quellen:

– Kurt Weill: Musik und musikalisches Theater. Gesammelte Schriften, hrsg. von Stephen Hinton und Jürgen Schebera mit Elmar Juchem, Mainz 2000

– Kurt Weill. Ein Leben in Bildern und Dokumenten, hrsg. von David Farneth mit Elmar Juchem und Dave Stein, Berlin 2000

– Sprich leise wenn du Liebe sagst. Der Briefwechsel Kurt Weill–Lotte Lenya, hrsg. von Lys

Symonette und Kim H. Kowalke, Köln 1998

– A Stranger Here Myself. Kurt Weill-Studien, hrsg. von Kim H. Kowalke und Horst Edler, Hildesheim etc. 1993

– David Drew: Kurt Weill. A Handbook, London 1987



I.

Walt Whitman 1819–1892

O Captain! My Captain!

[1865]

O Captain! my Captain! our fearful trip is done;

The ship has weather’d every rack, the prize we sought is won;

The port is near, the bells I hear, the people all exulting,

While follow eyes the steady keel, the vessel grim and daring:

But O heart! heart! heart!

O the bleeding drops of red,

Where on the deck my Captain lies,

Fallen cold and dead.

 

O Captain! my Captain! rise up and hear the bells;

Rise up — for you the flag is flung — for you the bugle trills;

For you bouquets and ribbon’d wreaths—for you the shores a-crowding;

For you they call, the swaying mass, their eager faces turning;

Here Captain! dear father!

This arm beneath your head;

It is some dream that on the deck,

You’ve fallen cold and dead.

 

My Captain does not answer, his lips are pale and still;

My father does not feel my arm, he has no pulse nor will;

The ship is anchor’d safe and sound, its voyage closed and done;

From fearful trip, the victor ship, comes in with object won;

Exult, O shores, and ring, O bells!

But I, with mournful tread,

Walk the deck my Captain lies,

Fallen cold and dead.

Nachdichtung von Hans Reisiger

O Käpten! mein Käpten!

[1985]

O Käpten! mein Käpten! die schwere Fahrt ist aus,

Das Schiff hat jedem Sturm getrotzt, nun kehren wir stolz nach Haus!

Der Hafen grüßt mit Glockenschall und tausend Freudenschrein,

Vor aller Augen rauschen wir auf sicherm Kiel herein;

Aber Herz, ach Herz!

Ach Tropfen blutig rot,

Wo auf dem Deck mein Käpten liegt,

Gefallen, kalt und tot.

 

O Käpten! mein Käpten! Steh auf und hör den Schall,

Steh auf – dir gilt der Flaggengruß, dir gilt das Jauchzen all,

Die Sträuße dir, die Kränze dir, und weit entlang am Strand

Das Menschenmeer, Gesichtermeer, dir freudig zugewandt.

Hier, Käpten! liebster Vater!

Hier ist mein Arm als Halt!

Es ist nur Traum, dass du hier liegst,

Gefallen, tot und kalt.

 

Mein Käpten gibt nicht Antwort, seine Lippen sind bleich und still,

Mein Vater fühlt nicht meinen Arm, hat nicht mehr Kraft noch Willen,

Das Schiff liegt heil vor Anker nun, die Reise ist nun aus,

Von schwerer Fahrt das Siegerschiff kam im Triumph nach Haus,

Jauchzt, ihr Gestade! Glocken dröhnt!

Ich aber knie in Not,

Wo auf dem Deck mein Käpten liegt,

Gefallen, kalt und tot.


II.

Walt Whitman 1819–1892

Beat! Beat! Drums!

 

Beat! beat! drums! — Blow! bugles! blow!

Through the windows — through doors — burst like a ruthless force,

Into the solemn church, and scatter the congregation;

Into the school where the scholar is studying;

Leave not the bridegroom quiet — no happiness must he have now with his bride;

Nor the peaceful farmer any peace, plowing his field or gathering his grain;

So fierce you whirr and pound, you drums — so shrill you bugles blow.

 

Beat! beat! drums! — Blow! bugles! blow!

Over the traffic of cities — over the rumble of wheels in the streets:

Are beds prepared for sleepers at night in the houses?

No sleepers must sleep in those beds;

No bargainers’ bargains by day — no brokers or speculators —

Would they continue?

Would the talkers be talking? would the singer attempt to sing?

Would the lawyer rise in the court to state his case before the judge?

Then rattle quicker, heavier drums — you bugles wilder blow.

 

Beat! beat! drums! — Blow! bugles! blow!

Make no parley — stop for no expostulation;

Mind not the timid — mind not the weeper or prayer;

Mind not the old man beseeching the young man;

Let not the child’s voice be heard, nor the mother’s entreaties;

Make even the trestles to shake the dead, where they lie awaiting the hearses,

So strong you thump, O terrible drums — so loud you bugles blow.

 


Quellen:

– O Käpten! Mein Käpten! Aus: Grashalme. Nachdichtung von Hans Reisiger. Zürich, Diogenes, 1985

– Schlagt! Schlagt! Trommeln! Deutsch von Johannes Schlaf (ergänzte Zeile: MZ), www.recmusic.org

– Totengesang für zwei Veteranen. Deutsch von Werner Richter, www.hampsong.com

Übertragung von Johannes Schlaf 1862–1941

Schlagt! Schlagt! Trommeln!

 

Schlagt! Schlagt! Trommeln! – Blast, blast, Hörner!

Durch Fenster brecht und Türen mit unbarmherziger Gewalt;

Und in der stillen Kirche löst die Andacht auf.

Stört den Studenten im Hörsaal.

Stört das Glück des harmlosen Bräutigams bei seiner Braut.

Den friedlichen Farmer bei Pflug und Ernte lasst nicht in Ruh.

So grimmig schlagt und rasselt, Trommeln! – So schrill, ihr Hörner, blast!

 

Schlagt! Schlagt! Trommeln! – Blast, Hörner, blast!

Durch Handel und Wandel der Städte, durch Rädergedröhn der Straßen;

Sind in den Häusern nächtens die Betten bereitet?

Die Schläfer dürfen in diesen Betten nicht schlafen.

Die Händler dürfen Handel nicht treiben bei Tage; nicht Makler und nicht Spekulanten! Wollen sie ihre Geschäfte betreiben?

Die Redner, wollen sie reden? Schicken die Sänger sich an zu singen?

[Wird sich der Anwalt erheben und seinen Fall vor dem Gericht darlegen?]

Dann wirbelt schneller, lauter, Trommeln! Und wilder, Hörner, blast!

 

Schlagt! Schlagt! Trommeln! – Blast, Hörner, blast!

Was da Verhandlung, und was da Beschwerde!

Achtet nicht der Zagen, auf Klagen nicht und Tränen!

Nicht der Bitten des Vaters für den Sohn!

Überdröhnt des Kindes Stimme und der Mutter Flehn!

Bahn macht für die Bahren,

die Toten schütteln sollen für den Leichenwagen!

So rau euer Dröhnen, schreckliche Trommeln! – ihr Hörner, so hart euer Blasen!


III.

Walt Whitman 1819–1892

Dirge for Two Veterans

 

1

The last sunbeam

Lightly falls from the finish’d Sabbath,

On the pavement here — and there beyond, it is looking,

Down a new-made double grave.

2

Lo! the moon ascending!

Up from the east, the silvery round moon;

Beautiful over the house tops, ghastly phantom moon;

Immense and silent moon.

3

I see a sad procession,

And I hear the sound of coming full-key’d bugles;

All the channels of the city streets they’re flooding,

As with voices and with tears.

4

I hear the great drums pounding,

And the small drums steady whirring;

And every blow of the great convulsive drums,

Strikes me through and through.

5

For the son is brought with the father;

In the foremost ranks of the fierce assault they fell;

Two veterans, son and father, dropt together,

And the double grave awaits them.

6

Now nearer blow the bugles,

And the drums strike more convulsive;

And the day-light o’er the pavement quite has faded,

And the strong dead-march enwraps me.

[7 nicht bei Weill]

In the eastern sky up-buoying,

The sorrowful vast phantom moves illumin’d;

’Tis some mother’s large, transparent face,

In heaven brighter growing.

8

O strong dead-march, you please me!

O moon immense, with your silvery face you soothe me!

O my soldiers twain! O my veterans, passing to burial!

 

What I have I also give you.

9

The moon gives you light,

And the bugles and the drums give you music;

And my heart, O my soldiers, my veterans,

My heart gives you love.

Deutsch von Werner Richter

Totengesang für zwei Veteranen

 

1

Der letzte Sonnenstrahl

Des ausklingenden Ruhetages

Fällt sanft auf das Pflaster hier; und dort drüben schaut er

Hinab in ein frisches Doppelgrab.

2

Seht, der Mond geht auf,

Hinauf von Osten, der silbernrunde Mond,

Schön über den Hausdächern, geisterhaft, Trugbild Mond,

Unermesslicher und stiller Mond.

3

Ich seh' eine Trauerprozession

Und hör' den Klang volltöniger Hörner,

Alle Kanäle – die Straßen der Stadt – quellen über

Von Stimmen wie von Tränen.

4

Ich hör' die großen Trommeln schlagen,

Die kleinen Trommeln kraftvoll wirbeln,

Und jeder Schlag der großen, erschütternden Trommeln,

Trifft mich durch und durch.

5

Denn der Sohn wird gebracht mit dem Vater,

In den ersten Reihen des wilden Angriffs fielen sie,

Zwei Veteranen, Sohn und Vater, fielen zusammen,

Und das Doppelgrab erwartet sie.

6

Näher nun klingen die Hörner,

Und die Trommeln schlagen noch durchdringender,

Und über dem Pflaster schwindet nun das Tageslicht,

Und der stolze Trauermarsch umfängt mich.

[7 nicht bei Weill]

Am östlichen Himmel wandert

Sich aufhellend das sorgenvolle weite Trugbild.

'S ist einer Mutter breites, durchscheinendes Gesicht,

Im Himmel heller werdend.

8

O stolzer Todesmarsch, du erfreust mich!

O gewaltiger Mond, dein silbernes Antlitz tröstet mich!

O mein Soldatenpaar, O meine Veteranen, geleitet zum Begräbnis,

Was mein ist, will ich euch schenken.

9

Der Mond schenkt Euch Licht,

Und die Hörner und Trommeln schenken euch Musik,

Und mein Herz, O meine Soldaten, meine Veteranen,

Mein Herz schenkt euch Liebe.