Begrüßungsansprache von Rainer O. Brinkmann beim Gedenkkonzert für die Opfer des Terroranschlags auf die Diskothek »Pulse« in Orlando, USA

Liebe Gäste, 

 

das war das Intermezzo aus der Oper Manon Lescaut von Giacomo Puccini. Die Titelfigur Manon wird am Ende des Werkes nach Amerika in die Verbannung geschickt. Auch unsere Blicke gehen heute nach Amerika, unser Entsetzen über die Tat von Orlando, unser Mitgefühl für die Opfer und ihre Familien, Freundinnen und Freunde.

 

Vor zehn Tagen haben wir hier in der Emmauskirche zwei Konzerte gegeben mit Sibelius’ Violinkonzert und Tschaikowskys 6. Sinfonie. Diese Sinfonie ist das letzte Werk, das er vor seinem Tode schrieb, und der Großfürst Konstantin bezeichnete es schon nach der Generalprobe als ein „Requiem“. Es enthält Tschaikowskys ganze fröhliche und leidvolle Lebenserfahrung als Mensch und als schwuler Mann. Peter Iljitsch komponierte in dieser Sinfonie (nach seinen eigenen Worten) ein »Programm, das aber für alle ein Rätsel bleiben soll.«

 

Als von der Bay Area Rainbow Symphony, unserem Schwester-Orchester in San Francisco, die Nachricht kam, dass sie Tschaikowskis 6. Sinfonie spielen, um der Opfer und Hinterbliebenen des Anschlags von Orlando zu gedenken (das Konzert war gestern Abend), da hatte ich sofort den Impuls, etwas ähnliches zu tun. Wann hat man schon mal ein Werk zum richtigen Zeitpunkt drauf … ? »Der richtige Zeitpunkt« – das klingt merkwürdig, denn der Anlass ist ein schrecklicher, und das Attentat von Orlando hat mich – und ich denke uns alle – tief erschüttert und bewegt. 

 

Nach den beiden Konzerten war ich noch so voll von dieser Musik, die zwischen großer Lebenslust, Getriebensein durch die Höhen und Tiefen romantischer Liebe – schwuler Liebe – und tiefer Trauer pendelt, dass ich dachte, wir sollten diese großartige Musik noch einmal zum Erklingen bringen, um aus der Ferne den Überlebenden, den Angehörigen, Freunden und Freundinnen der Opfer ein Zeichen senden, dass wir mit ihnen empfinden, mit ihnen trauern und die Kraft der Musik wirken lassen, um gemeinsam heute Abend das große Leid zu sehen, dass die Menschen in Orlando tragen müssen, und Musik zu hören, die im Leid geschrieben wurde – aber: Musik tröstet! 

 

Ich hatte kaum damit gerechnet, dass es möglich ist, das ganze Orchester so kurzfristig noch einmal zusammenzubringen, immerhin fast 60 Menschen, die ihren Mittwochabend auch mal anders verplanen. Aber dann war ich überrascht, wie groß die Resonanz war und wie unglaublich schnell alle zusagten und sich freuten, dieses Konzert zu spielen. Ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass die Kirche heute Abend nicht für anderes genutzt wird und die Emmaus-Ölberg-Gemeinde uns den Raum großzügig zur Verfügung stellt – vielen Dank dafür. 

 

Es war allerdings nicht möglich, jede Stimme original zu besetzen, daher freuen wir uns besonders, dass sich auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Orchestern der Stadt spontan entschlossen haben, mitzuspielen, namentlich aus dem Rundfunksinfonieorchester Berlin, dem Filmorchester Babelsberg, dem Orchester der Komischen Oper Berlin und der Staatskapelle Berlin. Wir fühlen uns als Orchester sehr geehrt, diese Verstärkung heute zu haben, und es ist sicher für alle ein besonderes Erlebnis, wenn hier Amateure und Professionelle gemeinsam musizieren. 

 

Der Eintritt heute Abend ist kostenlos, wir halten aber nach dem Konzert zwei Instrumentenkästen bereit, in die gerne gespendet werden kann. Der Erlös geht an ABqueer, einen Berliner Verein, der sich für Aufklärung und Beratung zu lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgender Lebensweisen in Schulen einsetzt. 

 

Ganz besonders freue ich mich über zwei Gäste, die jetzt sprechen werden, bevor dann Tschaikowskys »Symphonie pathétique« erklingt. Zunächst bitte ich den stellvertretenden Kulturattaché der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin, Mr. Jeremy Fowler, ein paar Worte zu sagen. 

 

Danach spricht Aalucard Holidai, der im »Pulse« in Orlando häufig als Tänzer mit seiner Formation aufgetreten ist, seit drei Monaten in Berlin lebt und zum Gay Mr. Florida 2016 gewählt wurde. 

 

Vielen Dank! 

 

[Berlin-Kreuzberg, Emmaus-Kirche, Orlando-Gedenkkonzert des concentus alius am 22. Juni 2016]